«Dieser Anfall kam aus dem nichts und veränderte unser ganzes Leben»

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Michelle Benz schien ein gesundes kleines Baby zu sein – bis sie im Alter von etwas mehr als sechs Wochen einen ersten schweren Epilepsie-Anfall erlitt. Nach verschiedenen Abklärungen und Untersuchungen mussten sich ihre Eltern Manuela und Patric Benz mit der Tatsache abfinden, dass ihre Tochter von einer cerebralen Bewegungsbeeinträchtigung betroffen ist.

Die Familie Benz wohnt in einem Mehrfamilienhaus im Zürcherischen Bisikon, das zur Gemeinde Effretikon gehört. Heute ist ein sonniger und sehr warmer Tag, Patric Benz ist mit seinen Kindern Michelle und Severin zum ersten Mal im Freibad gewesen. Nun sind die drei entsprechend müde, aber sehr zufrieden. Michelle blinzelt und reibt sich mit der Hand über die Augen. Sie hat Hunger und kann es kaum erwarten, dass Mama Manuela endlich den verspäteten Zmittag auf den Tisch bringt und sich zu ihr hinsetzt, um ihr zu essen zu geben. Während sich der achtjährige Severin in sein Zimmer zurückzieht, setzt sich Patric Benz ebenfalls an den grossen Esstisch und seufzt zufrieden. «Mit Michelle in die Badi zu fahren ist zwar wirklich schön, und sie geniesst das Wasser in vollen Zügen», sagt er, «aber es ist immer auch ziemlich anstrengend, weil ich sie kaum aus den Augen lassen kann.»

Erste Tests nach der Geburt verliefen unauffällig
Michelle Benz ist 12 Jahre alt und von einer cerebralen Bewegungsbeeinträchtigung betroffen. Bei ihr wurde eine sogenannte CDKL 5 diagnostiziert – dabei handelt es sich um eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich durch bereits im Babyalter einsetzende und in den meisten Fällen arzneimittelresistente Anfälle und schwere neurologische Entwicklungsstörungen auszeichnet. 
Manuela Benz erinnert sich: «Als Michelle zur Welt kam, wussten wir von all dem nichts. Sie schien zwar sehr klein und filigran, ansonsten aber ein gesundes Baby zu sein.» Auch die ersten Tests kurz nach der Geburt verliefen unauffällig, sodass die junge Familie bald darauf mit ihrem neugeborenen Mädchen nach Hause zurückkehren durfte. 
«Vielleicht war es auch, weil Michelle unser erstes Kind war und wir deshalb keine Vergleichsmöglichkeiten hatten. Wir stellten jedenfalls keine Auffälligkeiten in ihrer Entwicklung fest – zumindest am Anfang», Patric Benz wischt seiner Tochter sorgfältig ein paar Saucenreste vom Kinn und schaut dann nachdenklich zu seiner Frau Manuela hinüber. Sie nickt: «So richtig beunruhigt waren wir eigentlich erst, als unsere Kleine im Alter von etwas sechseinhalb Wochen ihren ersten epileptischen Anfall erlitt.» Manuela Benz kann sich noch gut an diesen folgenschweren Moment erinnern. «Dieser Anfall kam aus dem Nichts und veränderte unser ganzes Leben. Ich hatte Michelle gerade gestillt und sie ruhte sich auf meinem Arm aus, als sie plötzlich ihre Augen ganz weit aufriss und mit den Armen unkontrolliert zu zittern begann.» Der sofort beigezogene Kinderarzt versuchte die Eltern zu beruhigen. Eine frühkindliche Epilepsie kann jedes Neugeborene treffen – die Anfälle verlaufen meist harmlos und legen sich nach wenigen Wochen wieder. 
Doch bei Michelle war das anders. Dem ersten Anfall folgten weitere und so fuhren die besorgten Eltern schliesslich mit ihrer Tochter ins Spital. Dort wurden verschiedene Tests und Untersuchungen vorgenommen. Manuela Benz: «Auch wenn wir natürlich grosse Angst vor der Diagnose hatten, wollten wir doch Gewissheit darüber haben, was unserer Tochter genau fehlte.» Weil die Befürchtung im Raum stand, Michelle könnte von einem Gendefekt betroffen sein, wurde schliesslich ein Gentest durchgeführt. Es dauerte ziemlich lange, bis die Resultate vorlagen. Für die Eltern bedeutete das eine nervenaufreibende Zeit voller Befürchtungen und Ängste, dazwischen aber auch immer wieder die jäh aufkeimende Hoffnung, dass doch alles gut sein würde. Ein Erlebnis ist Manuela und Patric Benz aus dieser Zeit in besonderer Erinnerung geblieben. «Wir gingen mit Michelle ins Babyschwimmen und wurden dort mit dem Anblick von anderen Babys im gleichen Alter konfrontiert. Da wurde uns gnadenlos vor Augen geführt, wie sehr sich die Entwicklung unserer Tochter von anderen Kindern unterschied.» 
Manuela Benz weinte den ganzen Heimweg und fragte sich zum ersten Mal ernsthaft, ob sie all dem, das da noch kommen würde, gewachsen wäre. «Zum Glück führen Patric und ich eine sehr offene und vertrauensvolle Beziehung und können immer über alles miteinander reden» sagt sie, «ich war unglaublich froh, dass ich all meine Ängste und die riesige Traurigkeit mit ihm teilen durfte.» Patric Benz: «Wir gaben uns gegenseitig Halt und wussten gleichzeitig, dass wir uns auch in Zukunft aufeinander würden verlassen können.» 

Antworten auf dringende Fragen
Die endgültige Diagnose einer CDKL 5 brachte den Eltern insofern etwas Ruhe, als dass sie endlich Antworten auf dringende Fragen erhielten. Michelles Epilepsie hielt die junge Familie nämlich nach wie vor in Atem und liess sich mit keinem Medikament behandeln. Michelle erlitt teils bis zu 60 Anfälle pro Tag, die Eltern mussten hilflos dabei zuschauen und konnten ihrer Tochter keine Linderung verschaffen. «Egal was wir ausprobierten – nichts wirkte. Im Alter von 10 Monaten galt Michelle schliesslich als austherapiert. Durch die Diagnose der CDKL 5 wussten wir wenigstens, dass eine medikamentenresistente Epilepsie in den meisten Fällen zum Krankheitsbild dazugehört.»  

Tiefe Spuren, die wohl nie mehr ganz verschwinden
Die Eltern mussten lernten, mit Michelles Epilepsie zu leben und eine Zeit lang ging das auch relativ gut. Als Michelle drei Jahre alt war, wurden die Anfälle jedoch schlimmer. «Das war eine sehr schwierige Zeit für uns alle. Michelle hatte vorher doch verschiedene kleine Entwicklungsschritte machen dürfen, die aber aufgrund der schweren Anfälle nach und nach wieder verschwanden.» Sie schaut ihre Tochter an, die inzwischen ruhig in ihrer Kuschelecke im Wohnzimmer liegt und versonnen an einem Stoffhandschuh herumlutscht, den ihr die Eltern als Schutz für die darunterliegende Haut angezogen haben, und ihr Blick wird ganz weich: «Damals sagte ich zu Michelle, dass sie gehen darf, wenn sie nicht mehr mag. Dass wir verstehen, wenn sie nicht mehr kämpfen mag.» Sie wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Die schweren Zeiten haben bei ihr und ihrem Mann Patric tiefe Spuren hinterlassen, die wohl nie mehr ganz verschwinden werden.
Michelle gab nicht auf. Mit der liebevollen Unterstützung ihrer Familie kämpfte sie sich zurück ins Leben und weil die schweren Gewitter in ihrem Kopf irgendwann doch auch wieder etwas nachliessen, konnte sie auch wieder verschiedene Fortschritte erzielen. Trotzdem wird sie durch ihre schwere Beeinträchtigung wohl immer mit verschiedenen Einschränkungen leben müssen. Bis heute kann Michelle nicht selber laufen und auch nicht sprechen. Trotzdem verstehen ihre Eltern ziemlich gut, was sie möchte und wie es ihr geht – Michelle zeigt mit ihrer Mimik sehr deutlich, wenn sie etwas nicht mag oder sich unwohl fühlt.
Sie besucht die heilpädagogische Schule der Stiftung Ilgenhalde in Fehraltorf, wo sie auch verschiedene Therapien erhält und sich rundum wohl fühlt.

Das Leben muss weitergehen
Die Eltern entschieden sich schon früh dazu, nach vorne zu schauen und nicht länger mit der Situation zu hadern. «Wir wollten Michelle nicht in Watte packen, nur weil sie beeinträchtigt ist», sagt Patric Benz. Weil Michelles Gendefekt spontan aufgetreten war und nicht von den Eltern vererbt wurde, wünschten sich Manuela und Patric Benz zudem ein zweites Kind. Natürlich war die Angst vor einer erneuten Beeinträchtigung trotzdem ein steter Begleiter während der Schwangerschaft – umso erleichterter waren die Eltern, als Severin schliesslich kerngesund zur Welt kam. 

Der Radius wird immer grösser
Die Familie führt heute trotz Michelles schwerer Beeinträchtigung einen ganz normalen Alltag und die Eltern versuchen wenn immer möglich, auch Spontanität zuzulassen. Michelle ist ein gutmütiges Mädchen und gerne unterwegs – sehr zur Freude von Manuela und Patric Benz, die vor der Geburt ihrer Kinder wahre Weltenbummler waren und sich darauf freuten, mit Michelle und Severin wieder zu neuen Horizonten aufzubrechen. Pontresina, Cornwall, Lofoten – der Radius wird immer grösser. Manuela Benz lächelt: «Heute achten wir einfach immer darauf, dass ein Kinderspital oder zumindest eine Arztpraxis in der Nähe ist, wenn wir unser Reiseziel aussuchen. Ansonsten unterscheidet sich unsere Art zu reisen aber nicht von der früher – auch ohne Kinder galt es, spontan zu sein und flexibel auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Wir sind sehr dankbar dafür, dass Michelle diese besonderen Erlebnisse mit uns teilen kann.»

Hilfe für die Familie Benz
Die Familie Benz ist schon seit einigen Jahren bei unserer Stiftung angemeldet und bezieht regelmässig Pflege- und Hygieneartikel aus unserem Pflegeartikelshop. Wir unterstützten die Familie zudem beim Kauf eines behindertengerechten Autos. Manuela und Patric Benz haben mit ihren Kindern auch schon verschiedene Freizeitangebote unserer Stiftung genutzt. Besonders unser Kajakangebot und die Möglichkeit, im Winter auf verschiedenen Kunsteisbahnen Eisgleiter ausleihen zu können, machen ihnen grosse Freude. Diesen Sommer möchten sie auf dem Campingplatz Campofelice im Tessin erstmals einen Cerebral-Bungalow ausprobieren. Patric und Manuela Benz sind begeisterte Wintersportler. Wir haben ihnen bei der Finanzierung eines Dualskikurs geholfen, damit sie auch Michelle im Dualski mit auf die Skipiste nehmen und gemeinsam unbeschwerte Skiferien geniessen können.

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