«Arno wird uns auch dieses Mal einen Weg zeigen»

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Der 16-jährige Arno Rochat Luetscher ist ein selbstbewusster und fröhlicher Junge, der am liebsten die ganze Welt für sich entdecken würde. Leider lassen sich seine Träume nicht immer damit vereinbaren, dass er im Rollstuhl sitzt und von einer

cerebralen Bewegungsbeeinträchtigung betroffen ist. Seine Eltern Christine und Joël Rochat Luetscher unterstützen ihn nach Kräften, damit er trotzdem ein selbstbestimmtes Leben führen und sich seine Wünsche erfüllen kann.

Die Morgensonne lässt den Genfersee glitzern und funkeln. Obwohl es bereits 10 Uhr ist, erwacht die Stadt Lausanne (VD) an diesem Samstagmorgen im Spätsommer nur langsam zum Leben. Aus dem nahen Hafen ist das tiefe Horn eines Kursschiffs zu hören, sonst ist es noch ruhig. Im Zuhause der Familie Rochat Luetscher herrscht jedoch schon emsige Betriebsamkeit. Arno wartet neugierig auf den heutigen Besuch. Er hat seine Mama Christine Rochat Luetscher gebeten, ihm ein schönes Hemd anzuziehen. Chic sieht der junge Mann damit aus – mit seinen schelmisch glänzenden Augen und dem freundlichen Lächeln wickelt er einen augenblicklich um den Finger. Christine Rochat Luetscher lächelt: «Arno legt sehr viel Wert auf seine Kleidung und sucht sich am Morgen eigentlich fast immer ein Hemd zum Anziehen aus. Manchmal möchte er gar eine Krawatte dazu tragen. Da ist er dann jeweils mit Sicherheit der bestgekleidetste Schüler in seiner Klasse.» Arno grinst und nickt. Wie alle anderen Teenager möchte er seinen ganz eigenen Stil ausleben – schöne Hemden gehören für ihn einfach dazu. 

Zwei Monate zu früh auf der Welt
Arno ist der älteste Sohn von Christine und Joël Rochat Luetscher und ein absolutes Wunschkind. Das Paar lebte damals der Arbeit wegen in Brasilien, wo auch ihr Sohn aufwachsen sollte. Doch es kam anders. Denn als Christine Rochat Luetscher schwanger war, erlitt Arno im Mutterleib eine Infektion. Sie erinnert sich: «Wie genau es zu dieser Infektion kommen konnte, weiss niemand. Doch sie führte dazu, dass Arno schliesslich zwei Monate vor dem eigentlichen Geburtstermin auf die Welt kam.»  
Schon kurz nach der Geburt merkten die Eltern, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmte. Bis sie eine Diagnose erhielten, dauerte es aber eine ganze Weile. Arno wurde verschiedenen Tests unterzogen, die jungen Eltern erlebten dabei ein Wechselbad der Gefühle. Als sie dann erfuhren, dass Arno von einer cerebralen Bewegungsbeeinträchtigung betroffen ist, blieb ein eigentlicher Schockmoment jedoch aus. «Wir hatten ja schon vorher gewusst, dass wir mit einer solchen Diagnose rechnen mussten», erzählt Joël Rochat Luetscher nachdenklich, «deshalb zog es uns nicht gleich den Boden unter den Füssen weg, als wir endlich Gewissheit hatten.»
An den Moment, als ihnen ein Arzt Arnos  Diagnose stellte, können sich die Eltern trotzdem noch sehr gut erinnern. «Er sagte uns, wir können grundsätzlich froh sein, dass unser Sohn ‹nur› eine cerebrale Bewegungsbeeinträchtigung habe», erzählt Christine Rochat Luetscher kopfschüttelnd und ergänzt: «Das sei immerhin keine seltene Beeinträchtigung und es gebe zahlreiche Therapien und Möglichkeiten für die Betroffenen. Bei anderen, selteneren Beeinträchtigungen sei dies nicht der Fall.» Sie schluckt: «Ich fand diese Aussage damals unerhört, merkte aber ziemlich schnell, dass der Arzt eigentlich recht hatte.» 
Arno erhielt sofort geeignete Therapien und die Familie wurde engmaschig betreut. Trotzdem entschieden sich Christine und Joël Rochat Luetscher, zurück in die Schweiz zu ziehen und ihren Sohn dort grosszuziehen. «In Brasilien fühlten wir uns zwar sehr wohl und Arno wurde von unserem Umfeld auch sehr herzlich aufgenommen und umsorgt. Trotzdem kriegten wir irgendwann Heimweh nach unseren Familien und entschlossen uns dazu, in der Schweiz nochmals neu anzufangen.» 

Von Südamerika ins Waadtland
In Lausanne wurde die junge Familie schliesslich sesshaft und als Arno vier Jahre alt war, machte Léni das Glück der Familie komplett. Christine Rochat Luetscher: «Weil Arnos Beeinträchtigung keine genetische Ursache hatte, war die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass auch unser zweiter Sohn betroffen sein könnte. Ein mulmiges Gefühl war aber trotzdem da und begleitete uns die gesamte Schwangerschaft hindurch.» Die Freude und Erleichterung war gross, als Léni schliesslich kerngesund zur Welt kam. «Es war erstaunlich, wie schnell er sich entwickelte, von Arno waren wir ein ganz anderes Tempo gewohnt», sagen die Eltern und schauen ihre beiden Jungen liebevoll an. «Die beiden hatten immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander und auch wenn Léni Arno bald einmal körperlich überlegen war, ist Arno doch immer der grosse Bruder geblieben.» Auch Arno entwickelte sich den Umständen entsprechend gut und erzielte grosse Fortschritte. Er kann heute sehr gut sprechen und ist ein aufgeweckter, lebenslustiger Junge. Er ist zwar auf einen Rollstuhl angewiesen und kann seine Hände und Arme nur schwer kon-trollieren. Trotzdem gelingt es ihm mit der geduldigen und liebevollen Unterstützung seiner Familie, sich recht selbstständig zu bewegen und sogar den Elektrorollstuhl eigenhändig zu bedienen. Joël Rochat Luetscher: «Was Arno an Fertigkeit fehlt, macht er mit seinem unbändigen Willen wieder wett. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, schafft er das auch – er braucht halt einfach ein bisschen mehr Zeit dafür.»
Relativ früh machte sich bei Arno eine starke Epilepsie bemerkbar. Teils plagten ihn unzählige Anfälle pro Tag und es dauerte lange, bis ein Medikament gefunden werden konnte, das ihm wirklich Linderung brachte. «Bis Arno ca. zehn Jahre alt war, musste er pro Tag manchmal bis zu 50 Anfälle erdulden», erinnert sich seine Mama, «wir sind sehr froh, dass diese Zeiten vorbei sind.»

Die Schlaflosigkeit zerrt an den Kräften
Was den Eltern nach wie vor sehr zu schaffen macht, sind die langen Nächte mit Arno. Er schläft oft schlecht und weil er sich nicht aus eigener Kraft drehen kann, müssen seine Eltern immer wieder aufstehen und ihm helfen. Christine Rochat Luetscher: «Wir sind sehr froh, dass wir hier inzwischen Unterstützung erhalten. Mit der Zeit zerrt die Schlaflosigkeit an den Kräften.» Drei Nächte pro Woche schläft eine Pflegefachperson bei der Familie und kümmert sich um Arno, eine Nacht pro Woche darf er im Internat seiner Schule La Cassagne der Fondation Dr Combe in Lausanne verbringen. «Das hat mir am Anfang nicht so gefallen», erzählt Arno und fügt an: «Inzwischen finde ich es aber ganz okay.» Die Abende ohne Arno nutzen die Eltern, um sich voll und ganz auf Léni zu konzentrieren. «Auch wenn er sich nie beklagt und wir auch nicht das Gefühl haben, dass er hinter seinem grossen Bruder im Schatten steht, ist es uns doch wichtig, dass uns Léni auch manchmal ganz für sich alleine hat.» Christine Rochat Luetscher schaut ihren Jüngsten an und schmunzelt. «Zumindest, so lange es ihm noch Spass macht, mit seinen Eltern Zeit zu verbringen.»

Die Suche nach einer Anschlusslösung ist schwierig
Die Schule La Cassagne besucht Arno bereits seit seiner Einschulung. Nächsten Sommer schliesst er seine offizielle Schulzeit ab. Leider ist nicht klar, was Arno nachher machen soll. Auch wenn sich die Familie bereits seit Längerem intensiv mit diesem Thema befasst, konnte bis jetzt noch keine Lösung gefunden werden. Joël Rochat Luetscher: «Arno fällt durch alle Maschen: Aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung wird es schwierig werden, eine Lehrstelle für ihn zu finden. Für eine Beschäftigung in einer geschützten Werkstatt ist er aber kognitiv viel zu stark.» Um etwas mehr Zeit zu gewinnen, möchten die Eltern nun erreichen, dass Arno ein weiteres Jahr die Schule besuchen darf. Ihm wäre das sehr recht, wie er erklärt: «Ich gehe sehr gerne in die Schule und möchte möglichst viel lernen.» Auch was er später werden möchte, weiss er bereits sehr genau. Er erzählt mit glänzenden Augen, dass er am liebsten eine Lehre zum Pflegefachmann machen würde. 
Seine Eltern macht es traurig, dass sich dieser Wunsch wohl nie erfüllen lassen wird. Gleichzeitig sind sie aber auch nicht bereit, einfach die Hoffnung aufzugeben. «Bis jetzt haben wir noch für jedes Pro-blem eine Lösung gefunden», sagt Christine Rochat Luetscher und drückt sachte die Hand ihres Sohnes: «Ich bin mir sicher, dass Arno uns auch dieses Mal einen Weg zeigen wird.»

Hilfe für die Familie Rochat Luetscher
Die Familie Rochat Luetscher hat sich schon kurz nach ihrem Umzug in die Schweiz bei der Stiftung Cerebral angemeldet und wurde seither schon mehrfach unterstützt. So beziehen sie regelmässig Pflegeartikel und erhielten zudem Hilfe bei der Beschaffung eines Pflegebetts für Arno. 
Die Familie Rochat Luetscher fährt sehr gerne Ski. Wir haben Joël Rochat Luetscher einen Kurs finanziert, damit er Arno in einem Dualski selber pilotieren kann. Seither kann die ganze Familie gemeinsam Skiferien machen. Arno liebt den Schnee und die Geschwindigkeit – deshalb nahm die Familie im vergangenen Winter auch erstmals an unserem Dualski-Abschlussrennen in Bellwald teil und genoss gemeinsam mit anderen bei uns angemeldeten Familien einen unbeschwerten Tag in den Walliser Bergen.

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